… ein fast episch ruhiges Fortschreiten …

Die längst erwartete »Königin von Saba«, die bisher größte musikalische Composition Goldmarks, hat denn endlich ihre erste Aufführung im k. k. Hofoperntheater erlebt, und zwar unter Mitwirkung von Darstellern , um welche jeder Operncomponist Goldmarck beneiden könnte: Frau Wilt, Frau Materna, die Herren Walter, Beck und Rokitansky, dazu der vortreffliche Chor und jenes Orchester, welchem Richard Wagner das Zeugniß gegeben, es sei das erste der Welt.

Da hätten wir denn also wieder einmal eine »biblische«“ Oper – ein Halb-Oratorium, eine alttestamentarische Handlung, versetzt mit einer modern gedachten Liebesgeschichte, ähnlich wie in Rossini’s »Mosè in Egitto«das Buch Exodus für die Anforderungen eines modernen Opernpublicums verwerthet ist. Eine »Reine du Saba« hat übrigens auch Gounod componirt, ohne damit Glück zu machen. Ist es nicht, als schwebten zu gewissen Zeiten gewisse Stoffe in der Luft und als hätten sich die Künstler wechselseitig das Wort gegeben, sie in gleichartiger Weise aufzufassen und zu behandeln? Goldmarks Oper ist seit Jahren vollendet, wer aber der Erste auf das Theater kommt, zieht den Löwenantheil.

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Wir kennen also die Genesis des Werkes und die Zeit seiner Entstehung genau. Für seine richtige Beurtheilung ist dieser Umstand von Wichtigkeit. Verdis »Aida« ist, wie wir nach den Daten wissen, die neuere Oper, und die »Königin von Saba« hat, was ihre Entstehung betrifft, das höhere Alter. Ohne diesen wesentlichen Umstand würde ganz sicher das Urtheil laut werden: Goldmark habe eine Art kaum verhehlter Nachahmung der Verdi’schen Oper bringen wollen. Natürlich wäre ein solches Urtheil eine schreiende Ungerechtigkeit. Es ist aber zuweilen, als habe es ein boshafter Kobold eigens auf die Komponisten abgesehen. Offene Reminiscenzen an »Aida« wird man in der »Königin von Saba« vergeblich suchen, aber Ton und Färbung beider Werke im Großen und Ganzen sind von ausfallendster Aehnlichkeit. Beide versetzen uns in großen Bildern voll berauschenden Glanzes, mit dem größten Aufwand, ja mit verschwenderischem Luxus an Kunstmitteln in eine fremde, vortausendjährige Welt, zeigen uns die orientalische Pracht zweier ähnlicher Königshöfe, Tempelscenen voll uralt-sacerdotalen Pompes, Harfen, Tempeldienerinnen, Negermädchen, welche vor uns sich in den wilden Tänzen ihrer Heimat drehen, ägyptische und ägyptisirende Architektur und Tracht – und dazwischen Liebesscenen mitten in der Scenerie einer üppigen, fast schon tropischen, im Silberglanz des Mondes zauberisch verklärten Vegetation (Scene am Nil in »Aida«, Scene in Salomo’s Gärten). Schlage man die Wirkung dieses Beiwerks ja nicht zu niedrig an! Es hat zum Erfolg der »Aida« sicherlich nicht weniger beigetragen als Verdi’s Musik. Für Goldmark bleibt es unter allen Umständen ein nicht eben kleines Unglück, daß aller Orten die Aufführungen der »Aida« seinem Werks zuvorgekommen sind, – die Neuheit des mächtigen Effectes mindestens ist ihm damit vorweg genommen! Gewisse Stoffe, sagte ich schon oben, schweben zuweilen gleichzeitig in der Luft. Noch einige Opern ähnlichen Stoffes und das Publicum wird mit aufgehobenen Händen bitten, wieder nach Europa und unter Gestalten versetzt zu werden, die uns näher stehen und näher angehen als die Pharaonen des Wunderlandes am Nil und deren Zeitgenossen.

Was aber der »Königin von Saba« ihre eigenthümliche Physiognomie giebt, ist der – ich möchte sagen – alttestamentarische Zug, welcher besonders in der sich oratorienhaft ausbreitenden Tempelscene mächtig hervortritt. Ob dabei im scenischen Arrangement Alles so ganz archäologisch richtig ist, ob statt des einen berühmten siebenarmigen Leuchters im Tempel Salomo’s eine ganze Garnitur, wie wir zu sehen bekamen, ihre Flammen leuchten ließ, dagegen der Tisch mit den Schaubroten fehlte, ob sich der Hohepriester so ohne weiters und alle Augenblicke in’s Allerheiligste wie in ein Boudoir zurückziehen durfte, ob der Altar, an dessen Hörnern sich niemand halten könnte, weil er keine hat, zu tadeln sei, dies alles zu beurtheilen überlassen wir gelehrten Kennern der hebräischen Alterthümer. Nur als vollends der Vorhang des Allerheiligsten plötzlich in die Höhe ging und wir die Bundeslade erblickten, erschracken wir selber, denn wir dachten an das Buch Samuels II, Capitel 6, Vers 7, und an den unglücklichen Uza. Aber der Komponist bietet uns in dieser ganzen Scene eine Musik, welche, wenn sie uns auch die Gesänge Assaphs und Idithuns nicht wiederbringen kann, doch im richtigsten Geiste erfunden ist. Beiläufig gesagt, sollten wir aber mit gottesdienstlichen Scenen und Ceremonien auf der Opernbühne endlich doch anfangen etwas sparsamer zu werden, als wir seit Meyerbeers »Propheten«, Halevy’s »Jüdin« u.s.w. sind. Geht es so fort, so wird Christ und Jude bald nicht mehr recht zu unterscheiden im Stande sein, ob er in Kirche und Synagoge oder ob er im Opernhaus sitzt, und wird seine Gedanken beisammen halten müssen, damit er nicht unversehens beim Hochamte oder am Jom-Kipur zu applaudiren anfängt. Vielleicht aber sind solche Scenen für jene Fraction im Publicum berechnet, welche, wie Shakespeare’s Falstaff, seit lange »nicht mehr weiß, wie das Innere einer Kirche (oder Synagoge) aussieht«, damit sie doch eine Vorstellung davon bekomme, wie es dort zugeht. Die ägyptischen Götter, die uns von den Rundsäulen und Wänden in Salomo’s Königshalle anblickten, wollen wir in der Erwägung passiren lassen, daß der weise König, trotz seiner Weisheit, den fremden Culten bedenklich geneigt und daß seine Gemahlin eine ägyptische Prinzessin war. Der einzig fatale Punkt war aber, daß hier sogar die Decoration das Ihrige beitrug, uns an »Aida« nachdrücklichst zu erinnern.

Die Handlung der Oper Goldmarks gehört völlig der Phantasie des Textdichters Mosenthal an. An biblischem Material war nichts gegeben, als daß die Königin von Saba zu Salomo, »ihn zu versuchen mit Räthseln, nach Jerusalem kam, mit großem Gute, mit Kameelen, die Specereien trugen und sehr viel Gold und köstliche Steine – und da sie nun geschaut die Weisheit Salomons, so war vor Staunen kein Athem mehr in ihr«. Letzteres wäre in der Oper fatal! Auch Sulamith, welche in der Oper neben der Königin die Stellung einnimmt wie schon weiland in Cavalli’s »Artemisi« die zarte Artemia neben der karischen Herrscherin, die sentimental Liebende neben der heroisch Liebenden, ist eine »historische Person«. Verfolgen wir den Gang des Textbuches, so finden wir ein fast episch ruhiges Fortschreiten, welches dem Tonsetzer Gelegenheit bietet, »sich auszubreiten«, – die Verwandtschaft mit dem Oratorium tritt hierin deutlich zu Tage. Der erste Act, welcher durch Tänze, Aufzüge u.s.w. ungewöhnlich große Dimensionen angenommen hat, enthält, was die Handlung betrifft, nur die Exposition, welche uns mit den Verhältnissen der Hauptpersonen bekannt macht, die Ankunft der Königin und den feierlichen Empfang derselben, der sich zu fast sinnenverwirrender Pracht gestaltet. Im zweiten Act stockt nach der Gartenscene, welche in die einfache Handlung die Schürzung des dramatischen Knotens zu bringen beginnt, in der Tempelscene das Fortschreiten der Handlung völlig, bis zu dem Momente, wo Salomons Günstling Assad, eben als er der Oberpriesterstochter Sulamith am Altar die Hand reichen soll, beim Eintritte der Königin durch die offene Erklärung: nur diese sei die »Gottheit, welche er anbetet«, einen ungeheuren Scandal erregt. Die sittliche Entrüstung, womit ganz Israel über den unzeitigen Declaranten herfällt, wird Anlaß zu einer Entwicklung von Tonmassen, gegen welche sich das bekannte »poursuivons jusqu’au trépas« in Glucks »Armida« beinahe wie Zephyrhauch durch Blüthenbäume ausnimmt. Hier geht die Handlung mit einem einzigen gewaltigen Ruck so rasch vorwärts und verwickelt den bisher noch ziemlich locker gewesenen Knoten so, daß der Zuhörer den ganzen folgenden Zwischenact mit fruchtlosen Combinationen über den Ausgang hinbringt. Zuletzt macht der Tod Assads Alles »gut!«

Was nun Goldmarks Musik betrifft, so erwarteten wir mit Recht, und in der That auch nicht vergebens, ein Tonwerk, in dem uns etwas Bedeutendes entgegentreten werde; bei aller tiefgegründeten Achtung vor dem Componisten der meisterhaften Suite für Violine und Piano, der mit orientalischen Glutfarben gemalten Sacuntala-Ouverture, so vieler schön empfundener Lieder u.s.w. waren wir doch nicht ohne Befürchtungen, denn die Opernmuse ist eine sehr eigensinnige Dame und so Manches, was beim Lesen der Partitur in hohem Grade interessirt, was am häuslichen Klavier gefällt, versagt dann in der hellen und grellen Beleuchtung der Opernbühne den erwarteten Effect. Zum Glücke waren aber diese Besorgnisse ganz unnütz und nur darin hatte es Goldmarck in dieser seiner ersten Oper hauptsächlich versehen, daß er in der Freude und im Eifer des Schaffens die Dimensionen oft weit über das praktisch-richtige Maß ausdehnte. Auch dieses wurde im Laufe der bei den Proben gemachten Erfahrungen verbessert; zu den Brand-, Speise- und Räucheropfern des von Goldmarck musikalisch geschilderten salomonischen Tempels brachte er eine neue Gattung – ein »Streichopfer«. Wir rechnen ihm diese klare Einsicht und Selbstverläugnung hoch an, denn jeder Komponist fühlt sich in solchen Momenten wie Kotzebue’s Naumburger Viertelmeisterin, die sich nicht entschließen kann, welches von ihren sieben Kindern sie dem Hussitenführer opfern soll.

Für das Colorit des Ganzen hat als Grundton der Componist die »Herrlichkeit Salomo’s« genommen. Die Musik ist, um sie mit einem Worte zu charakterisiren, von berauschender Pracht – eine Tendenz übrigens, wie sie dermal im Allgemeinen nicht allein die Musik, sondern auch die Architektur mit ihren gold- und farbenstrahlenden Palästen, Theatern u. f. w. beherrscht. Es ist uns bei Goldmarks Musik, als würden wir aus einer solchen Prachthalle in die andere geführt, und zwischendurch empfinden wir doch etwas wie eine leise Sehnsucht nach ruhigeren Momenten, nach einfacheren Formen. Das Orchester wird in seinem modernsten Reichthum in Anspruch genommen – Baßclarinette, englisch Horn, Harfen – für letztere sogar im ersten Acte eine Anzahl von Harfnerinnen sul palco, die nicht, wie sonst in ähnlichen Fällen, stumme Figurantinnen sind, sondern als Ripienistinnen mit schöner Wirkung in die orchestralen Tonmassen eingreifen – ferner ein ganzer Chorus geschüttelter Schellentrommeln und schmetternder Cinellen in einem der Ballette – und so mehr Aehnliches. Das Orchester tritt häufig als malender Illustrator auf – es ist z. B. im Text wiederholt von einer Quelle die Rede, an welcher Assad zuerst die ihm noch unbekannte Königin sah – jedesmal versinnlicht uns das Flüstern und Rauschen der Geigen mit Sordinen, das wie Lichtblitze darüber hingaukelnde Arpeggiren der Harfen in einem sehr ausgeführten Tongemälde die rieselnde Flut. Selbst wenn Assad erzählend bemerkt: »da rauschte es im Schilf«, ermangelt das Orchester nicht, in einem kurzen Zwischenspiel das Rohr rauschen zu lassen. Goldmark kann sich hier auf ein ohne Zweifel classisches Vorbild berufen – im Recitativ Elvira’s, wo sie vom »rächenden Blitzstrahl« (also sogar nur figürlich) redet, läßt Mozart den Zickzack des Blitzes im Orchester niederzucken. Wenn sich Vincenzo Galilei über die componirenden Contrapunktisten seiner Zeit weidlich lustig macht, die jedes Wort des Textes ausmalen wollen, so darf man nicht vergessen, daß man damals keine Orchesterbegleitung kannte und Alles in den Singstimmen lag. Eine gewisse Vorsicht ist indessen auch anderen Componisten zu rathen. Wer in aller Welt wird, wenn er z. B. vom »Donner« redet, das letzte »r« nachrollen lassen, oder wenn er im Gespräche bemerkt, »es scheine eben die Sonne« – dazu illustrirend ein freundliches Gesicht schneiden?

Mit dem Glanz und Luxus des Orchesters steht es in Connex, daß wir gleich im ersten Act häufig durch stark gewürzte Tonarten: E-dur, Cis-moll, Es-moll u.s.w. geführt werden. Es thut völlig wohl, als in der Gartenscene zugleich mit dem Eintritts Assads auch ein simples C-dur eintritt und eine gute Weile dominirend bleibt. Auch diese Erfahrung möge der Componist für künftige Fälle nicht unverwerthet lassen!

Durchweg finden wir, daß Goldmark ans Com[po]niren seiner Oper mit einer Liebe für seine Aufgabe und mit einer Ehrfurcht für dieselbe gegangen ist, die sich ihm auch reichlich gelohnt hat. Die neue Epoche wird nicht gerade viele musikalisch-dramatische Werke aufzuweisen haben, welche sich neben die »Königin von Saba« stellen dürfen. Wenn wir vorhin äußerlicher Analogien wegen Verdi’s »Aida« genannt, so möchten wir, zur näheren Charaktcrisirung, noch nachstehende Parallele ziehen: Verdi übertrifft Goldmark in solchen Zügen und Dingen, wofür er auf operistischem Gebiete einen reichen Schatz von Erfahrungen erworben – er hat ferner gewisse Würfe voraus, die mehr der Natur des glücklich improvisirenden Italieners als dem liebevoll detaillirenden Fleiße des Deutschen gemäß sind, er besitzt und verwerthet ferner die Traditionen des bel canto, und daß er sich nicht fürchtet, trivial zu werden, wenn er einmal eine überschaulich-periodisch gegliederte cantable Melodie per spianar la voce sich breit aussingen läßt – wie z. B. das prachtvolle Motiv der Amneris in Des-dur im letzten Act – während die deutschen Componisten lieber mit knappen, aber geistreichen Motiven arbeiten, gerne zweitactige Melodieglieder an einander reihen und sich ordentlich scheuen, eine Melodie plan zu Ende zu führen. Diese Charakteristik der musikalischen Nationen findet man schon, wo man sie kaum suchen sollte: bei dem Italiener Palestrina einerseits und dem ihm übrigens so nahe geistes- und kunstverwandten Niederländer Orlando Lasso andererseits. Fragt man aber nach Ernst, Gediegenheit, Tiefe und sorgsamer Durchbildung, so wird der Autor der »Königin von Saba« vor jenem der »Aida« den Preis davontragen.

Mit der edel-großmüthigen Verschwendung des echten Künstlers, welcher an eine Aufgabe, deren Größe und Bedeutung er fühlt, sein Bestes daransetzt und sich nie genug zu thun glaubt, hat Goldmark seine Oper in einer Weise musikalisch ausgestaltet, daß es darin fast aussieht wie nach dem »Buch der Könige« im Hause Salomo’s selbst: »Aber auch alles Geschirr, woraus der König trank, war von Gold, und alles Hausgeräthe war von feinstem Gold, nichts war von Silber, denn es ward für nichts geachtet in den Zeiten Salomo’s.« Welch ungeheurer Luxus schon die Orchestration, in welcher zum Beispiel vom Theilen der Geigen, der Violen, der Violoncelli (divisi a 2) häufiger Gebrauch gemacht wird, als je früher ein Componist gethan. Wir hören die fabelhaftesten Combinationen und Effecte, oft geradezu berauschende Klangfarben. Auch die Steigerung des Ausdruckes ist zur gedenkbarsten Höhe emporgetrieben. Frühere Meister bringen wohlweise den Moment, wo der Affect sich zum gellenden Aufschrei der Leidenschaft steigert, ein Mal als höchste Spitze des Ganzen und hüten sich, ihn etwa in Permanenz zu erklären. Wie gewaltig wirkt es, wenn Leonore-Fidelio herausschmettert: »Tödt‘ erst sein Weib!« wenn Donna Anna aufschreit: »-Egli fù il carnefice del padre mio!« und selbst Meyerbeer, der, ein Effectmacher, sonst wahrlich nicht blöde ist, verspart in den Hugenotten die größte Steigerung für eine einzige Stelle: »Raoul, ils te tueront«. In der »Königin von Saba« ist in diesem Punkt ohne Frage des Guten zu viel. Der Hörer stumpft am Ende ab, wenn jeden Augenblick jemand auf der Bühne mit himmelan gehobenen Armen dasteht und ein leidenschaftliches hohes b, h, oder c mit aller Kraft der Stimme herausschreit. Verkennen wir aber nicht, daß die Gewalt und der Glanz der orchestralen Partie am Ende doch in den Gesangpartien ein solches Gegengewicht verlangte. Goldmark hat als dramatischer Componist mit seinem Prachtstück seine Schule durchgemacht und wird bei seiner nächsten Oper ohne Zweifel die Schiller-Goethe’sche Xenie beherzigen: »Hieltest du deinen Reichthum so zu Rathe wie jener seine Armuth – fürwahr, du wär’st uns’rer Bewunderung werth.« Wir haben Goldmark als vortreffliche» Musiker seit lange gekannt – neu und hocherfreulich war uns jedenfalls die Erfahrung, daß er auch ein vorzügliches dramatisches Talent heißen darf. Nicht bloß das Ganze giebt Zeugniß dafür, sondern auch mehr als Eine Einzelheit, wie Assads Ausruf: »Erlöse mich, sonst ist’s um mich geschehen.« Sagen wir endlich noch, daß Goldmarks Musik ihm, ganz eigen ihm gehört. Ich rede nicht davon, daß nicht bloß der ordinäre Reminiscenzenjäger hier kein Jagdrevier finden wird, sondern von dem weitaus wichtigeren Punkt, daß diese Musik ihre eigene individuelle Physiognomie hat.

Ueberblicken wir noch flüchtig die einzelnen Acte. Im ersten ist Sulamiths Gesang mit einfallendem Frauenchore von entzückender Schönheit – er athmet den Duft der Poesie des hohen Liedes, dem die Textworte hier wirklich entnommen sind. Frau Wilt sang diese Nummer aber eben so entzückend, als die Composition selbst ist. Assads Erzählung »Am Fuß des Libanon« u.s.w. ist von sozusagen greifbarer Lebendigkeit, Tonmalerei fast von Anfang bis zu Ende, aber Tonmalerei schönster Art. Nur daß die Flick-Interjection »Ewige Mächte!« mit einem fürchterlichen Posaunenaccord dick unterstrichen ist, mag wieder des Guten zu viel sein. Der Einzug der Königin gehört zu dem Prachtvollsten, was die Opernbühne besitzt. Die Ballet-Episode in Cis-moll mit der wilden, herabfunkelnden Figur der Geigen und Piccoli ist geradehin genial. Bei der Gartenscene des zweiten Actes dürfen wir nicht von Schönheiten im Plural sprechen – sie ist Eine Schönheit. Wunderbar ist die Episode der Sclavin Astaroth. Wie seltsam exotisch, wie verlockend unheimlich wird hier die Musik. Das Solfeggio, mit welchem Astaroth den Assad herbeiruft, klingt wirklich wie Musik aus einem anderen Welttheil.

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Hermine von Siegstädt

Es macht Frl. Siegstädt die allergrößte Ehre, daß sie die der Sängerin hier gestellte, über alle Begriffe schwere Aufgabe so vortrefflich löste. Das folgende Duo zwischen Assad und der Königin ist voll Glut – das Dämonisch-Verlockende im Charakter der Königin tritt besonders hier mit unheimlicher Gewalt zu Tage. Der alttestamentarisch-ernste Charakter der folgenden Tempelscene wird anmuthig durch den Eintritt der Jungfrauen und der Braut Sulamith gemildert. An Glanz übertrifft der erste Act den zweiten, an musikalischem und poetischem Werth nicht. Der dritte fällt, wie wir nicht verhehlen können, gegen beide ab. Zwar ist die Balletmusik, die ihn eröffnet, sehr schön (was oben dazu getanzt wurde, war es weniger), aber die langen Verhandlungen über Begnadigung oder Nichtbegnadigung des für seine Lästerung zum Tode verurtheilten Assad ermüden und für die Stelle der Katharsis, daß Assad die versuchend herantretende Königin und mit ihr seine Rettung zurückweist, ist dem Componisten keine Steigerung mehr übriggeblieben. Die Handlung, die sich in der Oper ohnehin nirgends übereilt, schleicht hier mit Bleifüßen, der Tutti-Jammer Sulamiths und ihrer Jungfrauen bringt sie nicht vorwärts. Die Kunst hat so ohne Ende »trauernde Juden« gemalt und in Musik gesetzt, daß wir gar nicht weiter nach hebräischen Lamentationen Verlangen tragen. Hier wäre etwas Mozart’sche Melodik und Mozart’scher Wohllaut eine wahre Erholung für das ermüdete Ohr des Hörers gewesen; leider hören wir wieder den ungemilderten Schrei des Schmerzes. Die letzte Scene, wo Assad, vom Könige in Folge einer himmlischen Erleuchtung begnadigt, aber auch verbannt, wie Selika unter ihrem Manchinillier, so unter seinen Sterbebaum, eine Palme in der Wüste, seine letzten Seufzer ausathmen geht, wo Sulamith den Sterbenden aufsucht, der Oberpriester ihm Vergebung verkündigt, übertrifft an Innigkeit und Tiefe der Empfindung alles Frühere. Daß zuletzt die Jungfrauen wieder den Chor aus dem ersten Acte anstimmen: »Der Freund ist dein«, ist ein sehr überraschender und sehr rührender Zug. Leider fühlen wir uns von den vorhergegangenen Scenen so abgespannt, daß wir nur zu einem halben Eindruck kommen. Die Abhilfe liegt nahe: noch kürzen!

Der trefflichen Leistung der Damen Wilt und Siegstädt gedachten wir bereits, Frau Friedrich-Materna war eine Königin, wie sie der Dichter und Componist gedacht. Ausgezeichnet standen ihnen die Herren Walter, Beck und Rokitansky zur Seite. Ehre aber auch Herrn Capellmeister Gerike, der das überschwere Werk so trefflich einstudirt hatte und leitete. Der Erfolg gestaltete sich für den Componisten zum förmlichen Triumph – besonders nach dem ersten Acte. (August Wilhelm Ambros in der Wiener Zeitung vom 11. März 1875)