Armuth ohne Ende und Lieder ohne Zahl

Der glänzende Erfolg, welchen »Die Königin von Saba« bei ihren bisherigen Aufführungen im Hofoperntheater errungen hat, rückt auch die Person des Componisten aus dem Dunkel bescheidener Zurückgezogenheit in den Vordergrund des allgemeinen Interesses. Ganz besonders in jenen Kreisen, welche eine patriotische Freude darüber empfinden, daß nach manchen mißlungenen Versuchen gerade das Werk eines vaterländischen Tondichters sich die ungetheilte Gunst des Publikums errungen hat, wird man die nähere Bekanntschaft mit dem Lebensgange Karl Goldmark’s willkommen heißen. Wir wollen in Nachstehendem das einfache Bild dieses Künstlerwallens mit jenen wenigen Zügen entwerfen, welche uns bekannt geworden sind.

Goldmark wurde im Jahre 1832 [recte: 1830] zu Keszthely in Ungarn geboren, wo sein Vater die karg besoldete Stelle eines Vorbeters in der jüdischen Gemeinde bekleidete; Armuth ohne Ende und Lieder ohne Zahl sind die frühesten Erinnerungen, die Goldmark aus seiner Kinderzeit bewahrt. In seinem sechsten Lebensjahre übersiedelten die Eltern nach Deutsch-Kreutz bei Oedenburg, und hier war es, wo die musikalische Neigung des Knaben zuerst sich offenbarte. Eine kleine Rohrpfeife, wie sie wandernde Slovaken allerorten in Ungarn feilbieten, fiel dem Kinde in die Hand, und mit freier Phantasie entlockte es dem primitiven Instrumente wohlgerundete Melodien. Nun rief natürlich das ganze Dorf, der Junge müsse Musiker werden, und ausnahmsweise ist aus dem Wunderkind wirklich etwas geworden. Nach kurzer Zeit wanderte Goldmark nach dem benachbarten Oedenburg, um im dortigen Musikverein bei Eipeldauer das Geigenspiel zu erlernen. Nach zwei Jahren waren die Studien so weit vorgeschritten, daß ein selbstständiges Concert gewagt werden konnte; in seinem achten Jahre stand Goldmark zum erstenmale vor dem hundertköpfigen Kritiker, Publicum genannt, welches ihm die aufmunterndste Recension, den stürmischsten Applaus spendete.

Nun zog es den Kunstjünger, wie Jeden, der im Reiche was Rechtes werden will, magnetisch nach Wien, nach der alten Musikstadt, um hier seine Ausbildung zu erlangen. Jansa und Joseph Böhm, dessen Jubiläum wir erst jüngst gefeiert, waren am Conservatorium seine Lehrer; mit unermüdlichem Eifer widmete sich Goldmark unter großen Entbehrungen seinen musikalischen Studien. Unter den ersten Sturmwehen der Revolution nahm er noch Unterricht im Contrapunkt, angeeifert durch die sorgsame Liebe seines Bruders, der bald durch die politischen Ereignisse einem bewegten Schicksale entgegenging. Die Betheiligung des Dr. Goldmark an der Bewegung des Jahres 1848, die fälschliche Verknüpfung desselben mit der Ermordung des Grafen Latour, seine Flucht nach Amerika sind aus den Acten des Rehabilitirungs-Processes, zu dessen Durchführung Dr. Goldmark nach der Wiederkehr besserer Zeitläufte direct aus Amerika nach der Heimat kam, allgemein bekannt. Auf die Entwicklung unseres Componisten waren diese traurigen Ereignisse insofern von Einfluß, als sie ihm einen treuen Berather, eine helfende Stütze entzogen. Er mußte das schützende Dach des Elternhauses wieder aufsuchen und oblag dort den allgemeinen Studien, um die vom Bruder gewünschte strenge Gymnasial-Prüfung bestehen zu können. An dieses Examen, welches in Wiener-Neustadt an einem dortigen Institute stattfinden sollte, knüpft sich eine kleine Reminiscenz. In etwas dürftiger Kleidung erschien der junge Candidat vor der Thür des gestrengen Herrn Directors, und schüchtern zog er die Klingel; eine unwirsche Magd steckte den Kopf zur Thür hinaus, und als sie des Jünglings in der fadenscheinigen Gewandung ansichtig wurde, griff sie tief in den Sack und reichte dem Wartenden — ein Groschenstück!

Mit dem Zeugnisse eines glücklich bestandenen Examens, aber ohne viel andere Werthpapiere in der Tasche, wanderte nun Goldmark nach Wien; die Wünsche des älteren Bruders wiesen ihn auf einen »bürgerlichen« Erwerb, die eigene Neigung zog ihm unwiderstehlich zurück ins Conservatorium. In diesem Widerstreite siegte die allmächtige Kunst, und alsbald zählte Goldmark wieder zu den Schülern des Conservatoriums. Später, zwei harte Jahre hindurch, saß er dann als Geiger im Orchester des Leopoldstädter Theaters, um die nöthigsten Bedürfnisse kümmerlich genug zu befriedigen. Inzwischen hatte er bereits einige Compositionen geschrieben, und im Jahre 1858 veranstaltete Goldmark sein erstes selbstständiges Concert, in welchem ausschließlich Producte seiner Muse das Programm ausfüllten. Das Concert fand eine wohlwollende Aufnahme, ebenso wie jenes, welches er ein Jahr später in Pest veranstaltete. Dort schien dem ernsten streben Goldmark’s kein günstiges Terrain gegeben, denn nach kurzer Frist sehen wir ihn abermals nach Wien zurückkehren. 1860 gab er ein sehr gut besuchtes Concert, in welchem seine Schülerin, Caroline Bettelheim, zum erstenmal als Clavierspielerin in die Oeffentlichkeit trat; für Lehrer und Schülerin ward dieses Concert von großer Bedeutung. Die Compositionen Goldmark’s fanden durch den Erfolg desselben Eingang in die großen Concert-Institute Wiens, wie des Auslandes, und sein Name zählte seither zu den geschützten Componisten gediegener Kammermusik; Caroline Bettelheim aber erntete ihre ersten Lorbeern, welche später auf der Bühne sich reichlich vermehren sollten. Ein Streichquartett, eine Suite für Clavier, die allbekannte Suite für Clavier und Violine, die »Sakuntala«-Ouvertüre, ein Scherzo für Orchester, viele Lieder und manche andere Composition fallen in diese Zeit. Die Production wäre vielleicht reicher gewesen, wenn Goldmark nicht immer mit Sorgen zu kämpfen gehabt hätte; bis auf den heutigen Tag bildete der sterile, das künstlerische Schaffen lähmende Musik-Unterricht die einzige Einnahmequelle des Künstlers. Allein sein Talent war endlich allgemein anerkannt, und dieser Umstand fand Ausdruck in der Tatsache, daß Goldmark ein Staatsstipendium erhielt, um an die Composition seiner »Königin von Saba« zu gehen. Mit Befriedigung können wir wol die Thatsache verzeichnen, daß der geschätzte Musik-Kritiker unseres Blattes, Herr Professor Eduard Hanslick, derjenige war, auf dessen Vorschlag und warme Befürwortung Goldmark vom Unterrichtsministerium jenes Stipendium erhielt. Der drückendsten Sorgen überhoben, schritt der Componist nun an die Ausführung seines ersten großen Werkes, dessen Grundidee ebenfalls von ihm herrührt. Mosenthal schrieb das Libretto stückweise nach den Angaben und vielfachen Aenderungen Goldmark’s, und als der dritte Act in die Hand des Componisten gelangte, war die Musik für die beiden ersten Acte bereits fertig. Im Jahre 1868 kehrte Dr. Goldmark aus Amerika nach Wien zurück und verblieb hier durch zwei Jahre, um das Ende seines Processes abzuwarten. Nach zwanzigjähriger Trennung sahen sich die Brüder als gereifte Männer wieder, und es ist leicht begreiflich, daß unter den mannichfachen Aufregungen dieser Zeit die Composition der Oper nicht vorwärts schritt. Achtundvierziger Actenstaub und Rebellenproceßluft wollten schlecht stimmen zu den Liebesklagen Sulamith’s und den weichen Romanzen des träumerischen Assad … Im Jahre 1871 endlich war die »Königin von Saba« vollständig fertig, und die Partitur wanderte in die Kanzlei unseres Hofoperntheaters.

Directoren kamen und gingen, daa Werk des österreichischen Componisten aber ruhte still im Pulte. Vor drei und zwei Jahren liefen zeitweilig Notizen durch die Journale, die Oper sei zur Aufführung angenommen, bald aber hieß es wieder, dieses glückliche Los sei der Gounod’schen Oper »Königin von Saba« beschieden; der Krieg zwischen den zwei arabischen Herrscherinnen neigte sich endlich, nachdem Otto Dessoff dem Werke Goldmark’s eine glänzende Beurtheilung angedeihen ließ, auf die Seite des Letzeren, und Director Herbeck gebührt das Verdienst, dem heimischen Künstler zu einem großen Triumphe verholfen zu haben. Der bescheidene Tondichter ist wie erdrückt von den stürmischen Ovationen, mit welchen er durch drei Abende ausgezeichnet wurde. Von Dankbarkeit erfüllt gegen das musikalische Wien, welches über die Schönheiten seines Werkes dessen Schwächen so nachsichtig vergißt, ist er nun, nachdem die sabäische Königin endlich flügge geworden, schon von hundert neuen Plänen für eine zweite Oper erfüllt. Möge der glückliche Stern, der über dem ersten Werke gewaltet, auch dem zweiten leuchten! (Daniel Spitzer in der Neuen Freien Presse vom 18. März 1875)