… armer Leute Kind

Vom Theater.
(Die »Königin von Saba« ein Zugstück. – Karl Goldmark. Seine Wiege und seine Lehrjahre. – Sein Bruder. – Dr. Goldmark’s Rehabilitationsprozeß …)

Das Glück der »Königin von Saba« im Hofoperntheater mag für jede strebende Künstlerseele eine wunderkräftige Aufmunterung sein. Per tot discrimina rerum hat der arme Kompositeur es erreicht, daß sein Werk auf der ersten und hehrsten Opernbühne zur Aufführung gelangte; und unter den widerwärtigsten Umständen, die ihm den Erfolg bestritten, ist es ein Zugstück geworden. Das Haus war »ausverkauft« bisher so oft die »Königin von Saba« auf dem Theaterzettel stand, und da Frau Wilt, die Sängerin der Sulamith, auf Urlaub geht, muß ihre Partie in andere Hände gegeben werden, um das heißersehnte und von dieser Novität kaum erhoffte Kassaglück des Hofoperntheaters nicht zu unterbrechen. Der Zauber, den das Werk ausübt, liegt hauptsächlich in einem gewissen naturkräftigen, melancholischen Zug, den Eingeweihte von der Individualität des Kompositeurs herzuleiten suchen.

Karl Goldmark ist armer Leute Kind. Im Jahre 1832 wurde er, wie wir in einem hiesigen Blatte lesen, seinem Vater, einem karg besoldeten jüdischen Vorbeter, zu Keßthely in Ungarn geboren und wurde bei weltlichen Klagen und heiligen Gesängen großgezogen. In Deutsch-Kreuz bei Oedenburg, wohin seine Eltern übersiedelten, offenbarte der sechsjährige Knabe zum ersten Male sein musikalisches Talent auf einer kleinen Rohrpfeife, die, er einem slovakischcn Krämer abgehandelt. Er entlockte dem primitiven Instrumente mit freier Phantasie die gefälligsten Melodien. Bald galt er im Dorfe als ein Wunderkind und wurde von feinem Vater aus mühsam gesammelten Mitteln nach Oedenburg geschickt, damit er im dortigen Musikvereine das Geigenspiel erlerne. Mit welchem Erfolg, das konnte er schon nach zwei Jahren in einem selbstständigen Konzerts zeigen, welches ihm nicht nur den Beifall von Publikum und Kritik eintrug, sondern auch die Wegzehrung Reise nach Wien, wo Jansa und Josef Böhm am Konservatorium seine Lehrer wurden. Im Sturme des Jahres 1848und unter schweren Entbehrungen, die ihm sein damals noch selbst armer Bruder, der bekannte Volkskämpfer Dr. Goldmark, nur wenig erleichtern konnte, studirte er den Kontrapunkt, den Schlüssel zur Kompositionslehre, auf die sein angeborenes Talent ihn mächtig hintrieb,.

Auch, auf die geringe Unterstützung von Seite feines Bruders sollte der Knabe jetzt verzichten müssen. Dr. Goldmark wurde als Hochverräther proskribirt, fälschlich als mitschuldig an der Ermordung Latour’s angeklagt und zur Todesstrafe verurtheilt, die auch an ihm vollstreckt worden wäre, wenn er sich nicht durch die Flucht nach Amerika seinen Häschern entzogen hätte. Karl selbst mußte sich jetzt, um sich vor dem drückendsten Mangel zu schützen, ins Elternhaus zurückziehen,.um sich da nach dem Wunsche seines Bruders, für die Gymnasialprüfung vorzubereiten. Aus dieser Zeit erzählt die »Neue Freie Presse« eine artige Anekdote: In dürftiger Kleidung erschien der junge Kandidat in Wiener-Neustadt vor der Thüre des gestrengen Herrn Direktors, um sein Examen zu machen, und schüchtern, zog er die Klingel; eine Magd steckte den Kopf zur Thüre hinaus, und als sie des Jünglings in der fadenscheinigen Gewandung ansichtig wurde griff sie tief in den Sack und reichte dem Wartenden – ein Groschenstück!

Dies Groschenstück und ein glänzend Zeugniß in der Tasche kam Karl Goldmark wieder nach Wien. Der Wunsch seines Bruders trieb ihn an, sich für einen bürgerlichen Erwerb auszubilden; die eigene Neigung zog ihn ins Konservatorium zurück. Er gehorchte seinem Genius, der ihn durch rauhe Pfade an die Sterne führen sollte. Zwei Jahre hindurch saß er als Geiger im Orchester des Leopoldstädter Theaters, um die nöthigsten Bedürfnisse kümmerlich genug zu befriedigen. Inzwischen hatte er bereits einige Kompositionen geschrieben und im Jahre 1858 veranstaltete Goldmark sein erstes selbstständiges Konzert, in welchem ausschließlich Produkte seiner Muse das Programm ausfüllten. Das Konzert fand eine wohlwollende Aufnahme, ebenso wie jenes, welches er ein Jahr später in Pest veranstaltete. 1860 wieder in Wien gab er ein Konzert, in welchem seine Schülerin, Karoline Bettelheim, zum ersten Mal als Klavierspielerin in die Oeffentlichkeit trat. Die Kompositionen Goldmark’s fanden durch den Erfolg desselben Eingang in die großen Konzert-Institute Wiens, wie des Auslandes, und sein Name zählte seither zu den geschätzten Komponisten gediegener Kammermusik.

Seine Produktion wäre vielleicht reicher geflossen, wenn Goldmark nicht immer mit Sorgen zu kämpfen gehabt hätte; bis auf den heutigen Tag bildete der sterile, das künstlerische Schaffen lähmende Musik-Unterricht die einzige Einnahmequelle des Künstlers. Allein sein Talent war endlich allgemein anerkannt, und dieser Umstand fand Ausdruck in der Thatsache, daß Goldmark ein Staatsstipendium erhielt, um an die Komposition seiner »Königin von Saba« zu gehen. Der drückendsten Sorgen überhoben, schritt der Komponist nun an die Ausführung seines ersten großen Werkes, dessen Grundidee ebenfalls von ihm herrührt. Mosenthal schrieb das Libretto stückweise nach den Angaben und vielfachen Aenderungen Goldmark’s.

Im Jahre 1868 kehrte Dr. Goldmark aus Amerika freiwillig nach Wien zurück und verblieb hier durch zwei Jahre, um sich in einer gerichtlichen Untersuchung und Verhandlung vom der Beschuldigung zu reinigen, daß er Antheil, an der Ermordung Latour’s gehabt. Nach zwanzigjähriger Trennung sahen sich die Brüder als gereifte Männer wieder, und es ist leicht begreiflich, daß unter den mannichfachen Aufregungen dieser Zeit die Komposition der Oper nicht vorwärts schritt. Im Jahre 1871 endlich war die »Königin von Saba« vollständig fertig, und die Partitur wanderte in die Kanzlei unseres Hofoperntheaters und vier volle Jahre brauchte es, bis das Werk zur Aufführung gekommen. Mögen dem inzwischen 43 Jahre alt gewordenen Manne nun unbewölkte Sterne leuchten! (Isidor Gaiger in der Morgen-Post vom 19. März 1875)