… Zuwachs an scenischem Effekt

Mit gespanntem Interesse haben wir der Wiederaufnahme von Goldmark’s Oper »Die Königin von Saba« am Samstag Abends entgegengesehen. Das Ereigniß war schon deßhalb von einer gewissen Bedeutung, als der letzte Act eine Umgestaltung erfahren und somit das Werk in dieser Beziehung einen neuen Charakter gewonnen hatte. Nach der Originalform spielt die Oper in vier Aufzügen, von denen man die beiden letzten in Einen zusammenzog, in der Absicht, durch eine derartige Verrenkung der Glieder das herkömmliche Maß der Zeitdauer für die Vorstellung zu ermöglichen. Die Folge jedoch davon war, daß der letzte Act sich durch die ungehörige Vertheilung der ohnehin sehr magern Handlung ungebührlich in die Länge und Breite zog und dadurch abspannend wirken mußte. Diesmal aber ging die Oper in vier Acten über die Bühne; sie hat durch dieses Arrangement zunächst eine bessere Abrundung, dann aber auch einen Zuwachs an scenischem Effect erhalten, indem sich jetzt das in den Rahmen des Ganzen passende sehr wirksame Bild eines Sturmes in der Wüste einschalten ließ. Freilich ist auch dieser vierte Act, wenn wir das Textbuch zu Rathe ziehen, ziemlich gewaltsam verbogen worden. Anstatt uns den gerichteten Assad im Gefängniß vorzuführen, wo die Königin nach der Anlage des Ganzen erscheinen muß, um ihn zu befreien und zur Flucht zu verleiten, treffen wir unmittelbar bei dem Aufgang des Vorhangs die Helden an dem Saume der Wüste an. Nach einem kurzen Monolog bricht der Sturm los. Kaum ist das Naturereigniß vorübergegangen, erscheint, man begreift es eigentlich nicht wie, die Königin an dieser unwirthlichen Stätte, um hier ihre Verführungskunst an dem armen, bereits halb verschmachteten Delinquenten auszuüben. Auf sie folgt dann Sulamith, geleitet von ihren Damen, welche in das Asyl der Gottgeweihten sich begibt. Aber in welch unmittelbarem Rapport steht hier jener Sturm mit der Situation? Er gibt kein charakteristisches Schlaglicht derselben ab, er scheint uns vielmehr nur die Schrecken der Wüste in naturhistorischer Anschaulichkeit schildern zu sollen; er braust rasch vorüber, ohne daß das Opfer in ihm untergeht. Soll er etwa gar den Verschmachtungsproceß symbolisiren? Und doch greift das Phänomen zu mächtig in die Gesammtstimmung des Bildes ein, als daß man es missen möchte. Hatte man sich einmal zu Aenderungen entschlossen, so konnte man leicht einen Schritt weiter gehen und die Erscheinung allmälig eintreten lassen, als Sulamith auf Assad trifft, so daß Beide im Sturme der Elemente ihren Untergang finden. Damit wäre jedenfalls ein imposanterer Schluß erzielt als mit der Vision der langen Chaussee in den Himmel, welche die Jacobsleiter vorstellen soll. Aber selbst diese brauchte man nicht gerade zu cassiren; sie würde vielmehr nach dem Aufruhr der Naturgewalten dem ganzen Bilde einen verklärenderen Hintergrund gegeben haben als es jetzt der Fall ist.

Die Rehabilitation des vierten Acts kommt dem Eindruck des Werkes, wie schon angedeutet wurde, ungemein zu Statten. Allein die gewonnenen Vortheile werden leider durch einen in ihnen selbst begründeten Uebelstand abgeschwächt. Die Oper in der jetzigen Form stellt durch ihre Länge an das Publicum eine sehr starke Zumuthung; ihre Vorstellung nimmt zu viel Zeit in Anspruch und ermüdet schließlich umsomehr, als der zu Grunde liegenden Dichtung das Mark einer nur einigermaßen fesselnden Handlung gänzlich abgeht. Die »Königin von Saba« ist im Grunde nur der »Tannhäuser« in alttestamentarischer Auflage und es geschieht dort ebensowenig etwas Reelles wie hier. Der hebräische Tannhäuser »Assad« ist ebenso inkonsequent in seinen Neigungen und ebenso passiv in seinem Handeln wie der Held Wagner’s; die Königin wiederum ist offenbar die Blutsverwandte der Venus im Hörselberge, nur daß sie ein semitisches Costume trägt und die Sulamith vollzieht ganz die Mission der frommen Elisabeth; der Oberpriester und der Landgraf reichen sich darin die Hand, daß sie nie etwas thun, aber sehr viel sagen. Allein die Gestalten Wagner’s ziehen immerhin aus dem Boden der romantisch-germanischen Sage eine gewisse Lebenskraft.

Wir können dem »Tannhäuser« unsere Sympathien nicht versagen, da sein widerspruchsvolles Gebahren sich auf den Einfluß einer dämonischen Macht zurückführt; der liebessieche Schwächling Assad jedoch kann uns höchstens nur ein schwaches pathologisches Interesse abnöthigen.

Die Musik vermag bei allen ihren großen Vorzügen die Mängel des Gedichtes nicht auszugleichen; sie selbst geht überdies auch häufig in ihren Anforderungen zu weit, indem sie sich in der Ausdehnung der Sätze zu wenig an das Gebot einer weisen Oekonomie bindet. Es spricht für den Werth dieser Musik, daß sie, so oft man sie wieder hört, neue und hohe Schönheiten entfaltet; aber sie krankt an ihrer eigenen Ueberfülle, sie gibt meistens des Guten zu viel.

In Betreff der Vorstellung selbst haben wir bereits in einer vorläufigen Notiz angedeutet, daß sie dem künstlerischen Berufe des Instituts in jeder Beziehung entsprach. Unter den Mitwirkenden trat Frau Wilt mit ihrer unübertrefflichen Leistung als Sulamith in den Vordergrund. Um sie gruppirten sich in würdigster Weise die Damen Materna, v. Siegstädt und die Herren Beck, Rokitansky und Walter. Ebenso gebührt dem Chor wie dem Orchester die vollwichtigste Anerkennung. (Eduard Schelle in der Presse am 14. September 1875)